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Pneumatische Antriebe in der Papiermechanik

Vortrag auf dem 13. Internationalen Karton-Modellbau-Treffen am 28.04.2001 in Bremerhaven

                          Seit 1989  lädt  das Deutsche Schifffahrtsmuseum in Bremerhaven zu einem jährlichen Karton-Modellbau-Treffen ein, zu dem Teilnehmer aus dem In- und Ausland anreisen. An einem Wochenende können sich die Freunde des Kartonmodellbaus untereinander austauschen, interessante Vorträge halten und hören und ihre fertigen Modelle präsentieren. Peter J. Visser aus Holland hat Bildberichte über die beiden letzten Treffen zusammengestellt (dort bitte "Pictures: Fairs and exhibitions" anklicken). Das Thema meines Vortrags lautete "Pneumatische Antriebe in der Papiermechanik", das Manuskript und die gezeigten Overhead-Folien sind unten abgedruckt.


                  1. Einleitung

Mein heutiger Beitrag greift das Thema vom letzten Jahr auf und führt es weiter. Vor einem Jahr ging es um die Umwandlung einer Drehbewegung in die gewünschte Bewegung des Papiermodells, vorgestellt habe ich die Wirkungsweise von Kurbelgleiter, Kurbelschwinge, Kurbelschleife, Taumelscheibe, Nocken, Sperrrad und Reibrad. Im Mittelpunkt meiner heutigen Ausführungen steht der pneumatische Antrieb von Papiermodellen. Ich will dies anhand von fünf Modellen erläutern.


                             2. Modelle

2.1 Rakete


Beim Modell des Phantasia-Verlages in Wyk auf Föhr wird eine kleine Rakete per Druckluft abgeschossen. Die Druckluft wird durch schnelle Kompression eines Blasebalgs erreicht. Die Bauteile dieses Modells sind: Blasebalg, Abschussrohr und Flugkörper. Durch das lange Abschussrohr wird eine gute Führung erreicht und der Druckverlust minimiert. Anforderungen an den Zusammenbau: Die Faltung und Klebung des Blasebalgs ist kniffelig, undichte Stellen können zum Druckabfall führen. Abschussrohr und Rakete müssen gut gerundet sein, sonst klemmt es.


                         2.2 Dragster

Einer Rakete auf Rädern ähnelt der pneumatische Dragster von Fritz König vom Atelier GAG aus Bremen. Durch Druckluft wird ein Rennwagen auf die Strecke geschickt. Die erforderliche große Druckluftmenge wird durch eine Kolbenluftpumpe erzeugt. Der Zylinder der Luftpumpe ist als Startturm mit quadratischer Grundfläche gestaltet, in den ein ebenfalls quadratischer Kolben schnell eingeschoben werden muss. Das lange Startrohr, das weit in den Rennwagen hineinragt, gibt Führung und vermeidet Druckverluste. Wichtig ist, dass das Abschussrohr und sein Gegenstück, eine Hülse im Rennwagen, genau fluchten, sonst klemmt es. Exakte Verarbeitung und eine ebene Grundfläche beim Start sind Voraussetzung. Sehr schön gelöst ist die Verbindung zwischen Zylinder und Kolben der Luftpumpe: Falze innen bzw. außen wirken als Anschlag, so dass der Mechanismus nicht auseinander fällt.



                 2.3 Hochzeitstorte

Paul Spooners Hochzeitstorte ist eins von sieben mechanischen Modellen, die 1986 als "Spooner´s Moving Animals" bei Virgin Books, London, veröffentlicht wurden. Im selben Jahr erschien die deutsche Ausgabe als "Automatenzoo" mit dem Untertitel "Park der Stille" bei Rogner & Bernhard im Verlag 2001.

 

zugeklappt

                                                          Die Hochzeitstorte besteht aus drei Schichten, deren Deckel beweglich mit Scharnieren befestigt sind. Im Innern der Torte befindet sich ein pneumatischer Zylinder mit einem beweglichen Kolben als Stößel. Ein Luftkanal im Sockel verbindet Zylinder und Mundstück. Die Druckluft wird durch stoßartiges Pusten in den Luftkanal erzeugt. Der Stößel wird hochgetrieben, stößt zunächst den Deckel der oberen Tortenschicht hoch, das reißt dann die Deckel der beiden unteren Schichten ebenfalls mit, die Scharniere klappen auf. Von Hand wird die Torte wieder zusammen geklappt. Die Aufwärtsbewegung des Stößels wird durch einen eingeklebten Bindfaden begrenzt, so wird verhindert, dass die Scharniere überdehnt werden und der Stößel aus dem Zylinder rutscht. Zur Konstruktion schreibt Spooner: "Der plötzlich vertikale Stoß gegen den oberen Tortendeckel wäre in Papier mit anderen Konstruktionsmethoden nur schwer zu verwirklichen. Dürften wir Holz und Metall verwenden, dann wäre ein Federmechanismus mit Auslöser gut."

aufgeklappt

Die Scharniere sind als Gerippe gestaltet, was offenbar zu einem Streit im Verlag geführt hat, da die Befürchtung bestand, das plötzliche "Auftauchen von achtzehn Gerippen aus einer Hochzeitstorte (verletze) den guten Geschmack, wodurch sich einige Leute im Publikum vor den Kopf gestoßen fühlen würden." Spooner setzte sich mit dem Argument durch, dass "Besucher, die nicht gelassen über ihre Sterblichkeit nachdenken können," gar nicht erst in den Automatenzoo kommen sollten.




                      

               

2. 4 Gedankenautomat

Bei Paul Spooners Gedankenautomat handelt es sich um einen Kopf aus Papier, der sich pneumatisch öffnet und den Blick auf die ebenfalls pneumatisch bewegten Gedankeninhalte freigibt. Die Originalausgabe erschien 1992 als "Spooner´s Museum of the Mind" bei The Museum of Automata, York. Die Deutsche Ausgabe erschien 1992 bei Rogner & Bernhard, 2. Auflage 1998.

Im Kopf eingebaut ist eine waagerecht liegende Luftpumpe, der Luftkanal knickt rechtwinklig nach oben ab. Durch Einschieben des Kolbens ("Schublade") wird die Druckluft erzeugt. Sie hebt einen auf dem senkrechten Teil des Luftkanals steckenden Außenkolben ("Hülle"). Die Konstruktion ist im Prinzip wie bei der Rakete und dem pneumatischen Dragster. Am oberen Rand der durch Luftdruck verschiebbaren Hülle ist ein Gestänge befestigt, das die beiden Kopfhälften aufklappt. Ein Heruntersacken der Hülle bei nachlassendem Luftdruck wird durch einen Sperrmechanismus verhindert. Eine Sperrklinke rastet in eine gezahnte Sperre ein, die an der Hülle befestigt ist. Durch Vorziehen das Schlipses kann diese Sperre gelöst werden. Falls die Pneumatik versagt, kann der Kolben auch durch eine Lasche auf der Rückseite angehoben und so der Kopf geöffnet werden. Am oberen Ende hat die Hülle eine quadratische Öffnung zum Einsetzen von vier unterschiedlichen Gedankeninhalten oder Geisteszuständen: "Sie sollen stofflose Ideen in festes Papier verwandeln."



    2.4.1 Der Staubsaugermann

                             Der erste Gedankeninhalt stellt einen Mann mit einem Staubsauger dar. Der Staubsauger ist an einem pneumatisch beweglichen Kolben befestigt, der durch Druck und Unterdruck hin und her bewegt wird. Diese Bewegung überträgt sich auf den Mann, der am Staubsauger festgeklebt und mit Gelenken versehen ist. Die Bewegung des Staubsaugermanns wird durch Hin- und Herschieben der großen Luftpumpe erreicht. Spooner ist der Meinung, dass die meisten Menschen ein Gerät brauchen, "das im Kopf installiert werden kann, um all die unerwünschten Sachen aufzusaugen, so dass ein freundlicher, leerer Raum zur Hervorbringung unverfälschter Gedanken entsteht."



          2.4.2 Der Dodo
        Der zweite Gedankeninhalt wird durch einen Dodo dargestellt, einen Vogel, der mit seinen kleinen Flügeln flattert. "Beim Dodomechanismus arbeitet ein vertikaler Kolben, der den auf einer Schaftspitze sitzenden Rumpf des Vogels hebt und senkt. Die Flügel sind am Rumpf eingehängt und werden mittels einer gabelförmigen Hebelvorrichtung auf- und abbewegt." Der Dodo ist ein ausgestorbener bzw. ausgerotteter Vogel. Ursache seines Aussterbens ist seine Selbstzufriedenheit: "Einen Vogel mit Flugvermögen verschlägt es auf eine paradiesische Insel im Indischen Ozean, auf der er keine natürlichen Feinde hat. Er muß nicht mehr fliegen, also verlernt er es," und wird so ein leichtes Opfer für hungrige Matrosen. Der "im GROSSEN KOPF herumfliegende metaphorische Dodo versinnbildlicht Wunschdenken und müßige Spekulationen darüber, was gewesen wäre, wenn..."




    2.4.3 Europa und der Stier
                                                  Der dritte Gedankeninhalt wird durch ein Modell von Europa und dem Stier dargestellt. Der Stier macht eine hoppelnde / galoppierende Bewegung. Dies wird erreicht, indem zwei Kolben abwechselnd gehoben und gesenkt werden, an denen jeweils Vorder- und Hinterbeine des Stieres befestigt sind. Die Luftversorgung beider Kolben wird durch ein kolbenähnliches Springventil gesteuert: "Öffnungen im Kolben geben Luft auf zwei Wegen ab - wie die Ventile einer Trompete. Tritt Luft durch den Zapfen ein, passiert sie das Ventil, tritt dann durch dessen oberen Abzug in einen Zweig der Luftpassage und hebt eine der Hüllen so hoch wie es geht. (...) Weiteres Einpumpen schiebt das Ventil in seiner Hülle weiter nach oben, wodurch die Luftzufuhr für die zunächst versorgte Seite abgeschnitten und die andere Seite durch den unteren Abzug mit Luft versorgt wird." Beim Zusammenbau der Europa kann man zwischen einer züchtigen und der üblichen Variante wählen. Die übliche Europa ist unbekleidet, die züchtige trägt einen blauen Badeanzug. Zur Bedeutung dieses Modells schreibt Spooner: "Kein Modell der menschlichen Psyche wäre vollkommen ohne die Einbeziehung von Sex und Gewalt. (...) In Anbetracht der von Zeus erzielten Höchstleistungen kann man den Sex als selbstverständlich voraussetzen; von einem Stier verschleppt zu werden, läuft zumindest auf extrem grobe Behandlung hinaus."


                             
2.4.4 Der Kopfschmerz

Der vierte Gedankeninhalt ist der Kopfschmerz. Die Druckluft schiebt einen Außenkolben ("Hülle") hoch, an dem sich zwei Sperrräder befinden, "dabei werden zwei elastische Schaltklinken aus Papier passiert. Zwei Sperrklinken sorgen dafür, dass die Räder während der Aufwärtsbewegung still stehen. Bei der Abwärtsbewegung fassen die Schaltklinken in die Zähne der Sperrräder und transportieren diese um einen Schritt weiter. An jeder Schaltklinke ist eine farbenfrohe Gabel befestigt, die erzittern soll, wenn die Klinken arbeiten, um so die vom Spiralmuster auf den Sperrädern hervorgerufene optische Irritation zu intensivieren." Wenn die Hülle den obersten Punkt ihrer Aufwärtsbewegung erreicht hat, gibt sie ein Abzugsloch frei, und der entweichende Luftstoß wirkt auf die Schaufeln einer Turbine, die ein an der Turbinenwelle befestigtes sechsunddreißigfach gezacktes Farbrad ruckartig bewegt.


  2.5 Orgel

Die Papierorgel wurde mir freundlicherweise von Fritz König / Atelier GAG für den Vortrag zur Verfügung gestellt. Das Patent ist 1990 für Benjamin Hurdle in Großbritannien eingetragen worden. Die Orgel kann bezogen werden bei:
Marcle Models www.marcle.co.uk/catap59.html


                             


                                                  Die Hauptbestandteile der Orgel sind: ein Doppelblasebalg, ein Druckbehälter, die Druckluftverteilung, acht Orgelpfeifen und eine Transportvorrichtung für einen gelochten Papierstreifen. Der Papierstreifen dient als Ventil und regelt die Druckluftversorgung der Orgelpfeifen. Er wird in einem schmalen Spalt zwischen Druckluftverteilung und Orgelpfeifen mit Hilfe einer Kurbel durchgezogen. Wenn sich ein ungelochter Teil des Streifens zwischen Luftverteilung und Orgelpfeife befindet, tut sich nichts, befindet sich dort eine Lochung, kann die Luft passieren und es entsteht ein Ton. Die Länge der Töne wird durch die Länge der Lochung bestimmt. Boden und Deckplatte des Druckbehälters sind elastisch und wölben sich bei Betätigung des Blasebalgs auf. Ein elastisches Band, das beide Bauteile verbindet, begrenzt die Aufwölbung und hilft beim Druckaufbau. Auf der Deckplatte ist eine trapezförmige Anzeigevorrichtung angebracht, die gelenkig mit zwei Papierstreifen verbunden ist, die wiederum vorn und hinten an der Deckplatte befestigt sind. Wölbt sich die Deckplatte nach oben, spannen sich die Papierstreifen und schwenken die Trapezplatte, die Anzeigezustände sind "Pump" und "Play".


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