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Moving Model Books - ein Beispiel für Wissensvermittlung durch Kartonmodelle

Vortrag auf dem 15. Internationalen Karton-Modellbau-Treffen
am 27.04.2003 in Bremerhaven



                          Seit 1989  lädt  das Deutsche Schifffahrtsmuseum in Bremerhaven zu einem jährlichen Karton-Modellbau-Treffen ein, zu dem Teilnehmer aus dem In- und Ausland anreisen. An einem Wochenende können sich die Freunde des Kartonmodellbaus untereinander austauschen, interessante Vorträge halten und hören und ihre fertigen Modelle präsentieren. Das Thema meines Vortrags lautete "Moving Model Books - ein Beispiel für Wissensvermittlung durch Kartonmodelle", das Manuskript und die gezeigten Overhead-Folien sind unten abgedruckt.


           Die "Moving Model Books" sind eine Jugendbuchreihe, die vom englischen Arcturus-Verlag herausgegeben wird. In die Bücher eingeheftet sind Konstruktionsbogen, mit denen sich ein mechanisches Kartonmodell bauen lässt. Daher der Name der Reihe.

1. Bereits Goethe - ein Blick in die Geschichte der Pädagogik des Kartonmodellbaus

Bevor ich zu den einzelnen Büchern komme, will ich einige Anmerkungen zur Geschichte der Kartonmodellpädagogik machen. Der Zusammenbau von Kartonmodellen ist an sich bereits eine lehrreiche Angelegenheit. Man erfährt zum Beispiel etwas über die Anlage einer Höhenburg, die Architektur einer Kathedrale, über Flugzeug- und Schiffstypen. Zugleich lernt man Verarbeitungstechniken kennen und übt die für den Zusammenbau nötigen manuellen Fertigkeiten, was sich wiederum positiv auf die geistige Entwicklung auswirkt. Seit mehreren Jahrhunderten schon werden Kartonmodelle auch ausdrücklich als pädagogisches Mittel zur Wissensvermittlung eingesetzt. Hierzu zwei historische Beispiele aus dem Buch "Geschnittenes Papier" von Sigrid Metken.

Schon der siebenjährige Goethe lernte Geometrie mit Hilfe von Kartonmodellen. Wie das bei einem Genie nicht anders zu erwarten ist, entwickelte er auch eigene Entwürfe. Allerdings scheint es ihm an Ausdauer gefehlt zu haben, es kam offenbar nicht viel dabei heraus:
"Ich hatte früh gelernt, mit Zirkel und Lineal umzugehen, indem ich den ganzen Unterricht, den man uns in der Geometrie erteilte, sogleich in das Tätige verwandte, und Pappenarbeiten konnten mich höchlich beschäftigen. Doch blieb ich nicht bei geometrischen Körpern, bei Kästchen und solchen Dingen stehen, sondern ersann mir artige Lusthäuser, welche mit Pilastern, Freitreppen und flachen Dächern ausgeschmückt wurden; wovon jedoch wenig zustande kam."

Von einer besonders eindrucksvollen pädagogischen Veranstaltung seines Hauslehrers Senff am Weihnachtsabend 1809 berichtet der Maler Kügelgen in seinen Erinnerungen:
"...hier hatte Senff auf der Diele aus kleinen von Papier gemachten Häusern, Palästen und Moscheen die Stadt Konstantinopel aufgebaut. Man konnte nichts Saubereres sehen als diese Papierstadt. Dichtgestreuter weißer Sand bezeichnete das Land, blauer das Meer, das von kleinen Schiffen belebt war. - Nachdem nun Senff eine skizzenhafte Erklärung der hervorragendsten Punkte gegeben, bemerkte er, dass Konstantinopel häufig abzubrennen pflege, und damit legte er einen Zunder unter das erste Haus der Vorstadt Pera. Bald brach die Flamme aus, ergriff das nächste Gebäude und die ganze Straße, verzweigte sich nach anderen Straßen, sprang in die Brunnen, die mit Spiritus gefüllt waren, und verbreitete sich über die ganze Stadt. Zuletzt wurde das Serail ergriffen, dessen zahlreiche Türmchen als Miniatur-Feuerwerk aufsprühten, die Vorstellung mit Knalleffekt beschließend. ... natürlich waren wir begierig, alles nachzumachen... Die Festungen und Städte, die wir für unsere Kriegsspiele bis dahin nur als Grundrisse verzeichnet hatten, erhoben sich jetzt zu allen Dimensionen des Raumes, und wir nahmen zu an mancherlei Kenntnis und Geschicklichkeit."


            2. Moving Model Books

Nun ein Sprung über fast 200 Jahre in die Jetztzeit. Der englische Arcturus-Verlag hat fünf Sachbücher für Kinder und Jugendliche herausgegeben, bei denen ein Bausatz für ein me-chanisches Kartonmodell eingeheftet ist. Der Bausatz macht das im Buch Gesagte plastisch und greifbar - das Buch wiederum liefert den theoretischen Hintergrund des Bausatzes. Beide Elemente ergänzen und verstärken sich gegenseitig.

Die Themen orientieren sich an dem Interesse der Zielgruppe für das Abenteuerliche: Mumien, Dinosaurier, die Irrfahrten des Odysseus, Wikinger und Marsmenschen. Jedes Heft umfasst 16 Seiten Text mit Schwarz-Weiß-Zeichnungen inklusive vier Seiten Bauanleitung plus 16 Seiten Bausatz. Der Umschlag ist aus Karton und bunt bedruckt. In der Mitte eingeheftet ist der Bausatz aus vorgestanztem Karton. "Model Maker" aller Bausätze ist Keith Newstead. Alle Bücher sind in China gedruckt und kosten zwischen 5.99 und 6.99 britische Pfund. Sie sind im Jahre 2000 und 2001 erschienen.

Alle Modelle werden durch eine Handkurbel angetrieben. Die Bewegungsumwandlung findet in vier Fällen durch einen Kurbelgleiter statt, in einem Fall durch Nocken und Stößel. Eine große Bedeutung für die Bewegung von einzelnen Teilen der Modelle haben Kartonstreifen, die als Gestänge eingesetzt werden.


 

     

2.1 Mummies (Mumien)

"Mummies" wurde erstmals im Jahre 2000 bei Hodder Children's Books, London, veröffentlicht. Der Autor des Heftes ist Philipp Steele, Illustrator ist Chris Mould. Der Text erzählt was Mumien sind, über die Mumifizierungstechnik, den Jenseitsglauben der Ägypter, die Götter, über Gräber und Pyramiden, über Archäologie und den Fluch der Pharaonen.

Das Kartonmodell schildert eine Situation in einer ägyptischen Grabkammer oder Einbalsamierungswerkstatt. Ein Diener betritt den Raum und trägt ein Tablett mit Binden zum Einwickeln einer Mumie. In diesem Moment öffnet sich ein Sarg, die Mumie richtet sich halb auf, und der Diener schlottert vor Angst.

Der Antrieb der Mumie: Ein Schneckennocken hebt langsam einen Hebel, an dem ein Stößel befestigt ist. Dieser drückt gegen den Rücken der Mumie und richtet sie auf. Zugleich werden die Arme angehoben, als wollten sie nach dem Diener greifen. Der Sargdeckel wird durch die sich aufrichtende Mumie aufgedrückt. Dann fallen Hebel und Stößel schlagartig herab und damit auch Mumie und Sargdeckel.

            Antrieb des Dieners: Auf einer Nockenscheibe sind 17 kleine Zacken angebracht, die etwa 40 % des Umfangs einnehmen. Dadurch wird ein Hebel während eines Teils der Kurbeldrehung schnell hintereinander geringfügig auf und ab bewegt. Die Ratterbewegung wird auf den Unterkörper des Dieners übertragen, der mit dem Hebel beweglich verbunden ist. Der Oberkörper wiederum ist locker über den Unterkörper gestülpt. Die Arme mit dem Tablett sind beweglich am Oberkörper befestigt. Das Tablett wird durch einen Pappstreifen am Boden abgestützt. Durch diese vielfältigen Bewegungsmöglichkeiten wird das Rattern des Zackennocken in ein Zittern des Dieners umgewandelt.


         2.2 Dinosaurs (Dinosaurier)

Das Heft "Dinosaurs" wurde im Jahre 2000 in Zusammenarbeit mit dem Natural History Museum in London heraus gegeben. Die Autorin ist Belinda Weber, Illustrator wiederum Chris Mould. Beschrieben werden einige Saurierarten und deren Lebensumstände im Erd-mittelalter. Jeweils ein Kapitel behandelt Trias (vor 228 Millionen Jahren), Jura (vor 205-142 Millionen Jahren) und Kreidezeit (vor 142 bis 65 Millionen Jahren), weitere den "T.Rex - König der Saurier", Fossilien und das Aussterben der Saurier.

Das Kartonmodell stellt einen Tyrannosaurus-Rex dar, der an einem getöteten Dromaeosaurus knabbert. Antriebsmechanismus ist ein Kurbelgleiter, ein Hebel, der am unteren Ende mit der Kurbel verbunden ist und mit dem oberen Ende mit dem Körper des T. Rex, der so eine Auf- und Ab- sowie eine Hin- und Herbewegung vollzieht.

Eigenbewegungen vollziehen Schwanz, Unterkiefer und Kopf. Das wird durch den Einsatz von Kartonstreifen als Gestänge erreicht. Der Unterkiefer stellt technisch gesehen einen zweiseitigen Hebel dar, an dessen Kraftarm der Pappstreifen befestigt ist. Bewegt sich nun der T. Rex nach vorn und unten, drückt der Pappstreifen den Hebelarm nach oben, was ein Öffnen des Mauls bewirkt. Am Unterkiefer sind die Pupillen des T. Rex aufgezeichnet, im Kopfteil ist die Augenöffnung ausgespart. Klappt nun der Unterkiefer auf, wandern die Pupillen als schmale Streifen nach vorn, was das Hinterlistige der Nahrungsaufnahme unterstreicht.

      2.3 The Odyssey (Die Odyssee)

Das Heft wurde 2001 veröffentlicht, Textautor ist Peter Weigall, Illustrator Chris Mould. Erzählt werden acht Abenteuer des Odysseus: der einäugige Zyklop, der Beutel der Winde, Circes Zauber, der Gesang der Sirenen, Scylla und Charybdis, Zeus' Bestrafung, Odysseus' Rückkehr, die Bestrafung der Freier.

Das Kartonmodell stellt die Flucht des Odysseus und seiner Gefährten vor dem Zyklopen dar. Was war passiert? Odysseus und seine Männer waren vom Zyklopen in seiner Höhle gefangen worden. Da Menschenfleisch das Lieblingsgericht des Zyklopen darstellte, waren sie sozusagen seine lebende Nahrungsreserve. Odysseus, listig wie er war, machte den Zyklopen betrunken. Während er im Rausch schlief, rammten Odysseus und seine Leute ihm einen angespitzten Pfahl in sein einziges Auge. Da er nun geblendet war, konnten sie entkommen.

Das Modell wird durch zwei Kurbelgleiter bewegt, der eine lässt das Schiff auf den Wellen tanzen, der andere steuert den Zyklopen. Die Höhepunkte der Bewegungen sind gegenläufig: taucht das Schiff in ein Wellental, richtet sich der Zyklop zu voller Höhe auf und umgekehrt. Die Bewegungen sind vielfältig. Der Zyklop bewegt Oberkörper und Arme, das Schiff tanzt auf den Wellen, die Ruderer lehnen sich vor und zurück, die Ruder bewegen sich und Odysseus hebt abwehrbereit sein Schwert.

Bei der Bewegung der Arme des Zyklopen und Odysseus sowie für die Bewegung der Ruderer spielen Pappstreifen, die zum einen am bewegten Teil und zum anderen an unbewegten Teilen wie Sockel und Hintergrund angeklebt sind. Die Gliedmaßen sind über den Drehpunkt des Gelenks hinaus verlängert, so dass das Ganze einen zweiseitigen Hebel oder Winkelhebel ergibt. Wird nun z.B. der Oberkörper des Zyklopen durch einen Kurbelgleiter angehoben, ziehen die Pappstreifen an und die Arme heben sich.


           2.4 The Vikings (Die Wikinger)

Das Heft wurde 2001 herausgegeben, Autorin ist Belinda Weber, Model Maker und Illustrator ist Keith Newstead.
Berichtet wird von den Lebensbedingungen und Lebensgewohnheiten der Wikinger (Feasts and flogging), von ihren Kriegen (Monsters of the sea), ihren Waffen und Rüstungen (The weapons of war), ihren Raubzügen (Raiders to settlers), ihren Bestattungsritualen (Death of a Viking) und ihrem Glauben (Battle of the giants).

Das Kartonmodell zeigt einen Wikinger bei seiner Lieblingsbeschäftigung, dem Abbrennen eines überfallenen Dorfes und beim Abschlachten seiner Bewohner. Antrieb sind zwei Kurbelgleiter für die Bewegung des Wikingers und die Flammenwand im Hintergrund. Arme und Kopf des Wikingers werden - wie beim Zyklopen - mit Hilfe von Kartonstreifen bewegt. Sehr gut gelöst ist die Beziehung zwischen Ober- und Unterkörper. Der Oberkörper bewegt sich auf und ab und seitlich. Er ist als unten offener Kasten ausgebildet. In dieser Öffnung steckt der Unterkörper und wird durch den Oberkörper bei dessen seitlichen Bewegungen geführt. Bei der Auf- und Abbewegung des Oberkörpers bleibt der Unterkörper immer auf dem Boden.


        2.5 Aliens

Das Heft wurde im Jahre 2000 erstveröffentlicht bei Hodder Children's Books, London. Autor ist Susan Pinkus, Illustrator ist Chris Mould. Das Buch gibt Berichte von Begegnungen mit Ufos und Außerirdischen wieder und wirft die Frage auf: "Sind wir allein?"

Das Kartonmodell zeigt eine Begegnung der dritten Art zwischen einem Marsmenschen und einem Erdbewohner, der ins Ufo hineingesaugt wird. Die Konstruktion ist einfach aber bemerkenswert. Antrieb ist ein Kurbelgleiter, an dessen oberem Ende das Bild eines Alien angeklebt ist. Der Hebel läuft in einer Führungshülle, die das Raumschiff trägt. So macht das Raumschiff die seitliche Bewegung des Kurbelgleiters mit, nicht aber die Auf- und Abbewegung. Erstaunlich ist die technische Realisierung der Hubbewegung des aufgesaugten Menschen. Im Kurbelgleiter angeklebt sind zwei parallele Kartonstreifen, die durch eine Öffnung in der beweglichen Hülle nach vorn reichen, wo der Erdbewohner angeklebt ist. Die Öffnung wirkt wie ein Drehpunkt für diese Pappstreifen, die zweiseitige Hebel darstellen. Wird der Kurbelgleiter nach unten gekurbelt, zieht er das eine Ende der Pappstreifen mit nach unten, während das andere Ende mit dem Menschen nach oben klappt und ihn in der Ansaugvorrichtung verschwinden lässt.

  Schemazeichnung eines Kurbelgleiters, durch den die Modelle Dinosaurs, Odyssey, Vikings und Aliens angetrieben werden. Die Drehbewegung der Kurbel wird in eine kombinierte Hin- und Her- und Auf- und Abbewegung umgeformt.


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